Messerangriffe in Deutschland

  • Oct 3, 2025

🇩🇪 Messerangriffe in Deutschland

  • Andreas Wagner

Messerangriffe sind ein sensibles Thema in der öffentlichen Debatte, häufig emotionalisiert, selten sachlich beleuchtet. Dieser Artikel liefert eine fundierte Analyse zur Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland von 2020 bis 2024. Auf Basis offizieller Kriminalstatistiken und wissenschaftlicher Studien zeigt er, wie vielfältig die Ursachen sind, wer zu den Tatverdächtigen zählt und wie Medienberichte das öffentliche Bild verzerren können. Ein Plädoyer für Differenzierung statt Dramatisierung.

Im Mai 2025 ereignete sich ein schwerer Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof: Eine 39-jährige Deutsche, offenbar mit psychischer Vorerkrankung, verletzte mit einem Messer 15 Menschen, teils lebensgefährlich. Die Täterin wurde kurz zuvor aus einer psychiatrischen Klinik entlassen. Die Polizei geht von einer akuten psychischen Krise als Tatmotiv aus. Der Fall löste bundesweite Diskussionen über Sicherheit und den Umgang mit psychisch kranken Menschen aus (vgl. BILD, 2025).

Solche Vorfälle verdeutlichen die sehr unterschiedlichen Kontexte von Messerangriffen in Deutschland, sie reichen von gezielten Gewalttaten bis zu eskalierenden Alltagskonflikten. Der vorliegende Beitrag analysiert die Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland auf basis empirischer Daten, unter besonderer Berücksichtigung der Frage: Was zeigen die offiziellen Statistiken tatsächlich? Welche Gruppen sind überrepräsentiert und warum? Und wie ist die mediale Berichterstattung dazu zu bewerten?

Ziel ist eine nüchterne, sachlich fundierte Darstellung ohne politische Bewertung, gestützt auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), kriminalsoziologische Studien und aktuelle Forschungsergebnisse.

Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland

Seit dem Jahr 2020 erfassen das Bundeskriminalamt (BKA) sowie die meisten Landeskriminalämter Messerangriffe systematisch im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Als „Messerangriff“ wird laut Definition eine Tathandlung erfasst, bei der ein Messer unmittelbar gegen eine Person angedroht oder ausgeführt wird (Bundeskriminalamt, 2024).

Messerangriffe in Deutschland von 2020 bis 2024

Abb. 1 Anzahl der Fälle von Messerangriffen in Deutschland von 2020 bis 2024 (Vgl. PKI 2020 - 2024)

Die absoluten Zahlen zeigen einen kontinuierlichen Anstieg: Von 7.464 Fällen im Jahr 2020 stieg die Anzahl auf 9.875 im Jahr 2024, ein Zuwachs von rund 32 Prozent innerhalb von fünf Jahren (Bundesministerium des Innern und für Heimat [BMI], 2023; 2024).

Allerdings muss dieser Anstieg differenziert betrachtet werden: Auch die Gesamtzahlen bei Körperverletzungs- und Raubdelikten sind im gleichen Zeitraum gestiegen. Der relative Anteil der Messerangriffe an allen Körperverletzungsdelikten liegt seit Jahren relativ konstant zwischen etwa 6,8 und 7,1 Prozent. Im Bereich der Raubdelikte liegt der Anteil höher, zwischen 24 und 27 Prozent, blieb aber ebenfalls relativ stabil (BMI, 2023; 2024).

Diese Daten deuten darauf hin, dass der Anstieg der Messerkriminalität weitgehend mit der allgemeinen Zunahme von Gewaltkriminalität korreliert und nicht unbedingt auf eine neue Form oder Welle der Gewalt hindeutet.

Wer sind die Tatverdächtigen?

Die Erfassung von „Messerangriffen“ im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfolgt seit dem Jahr 2020. Dabei werden ausschließlich Fälle gezählt, in denen ein Messer gezielt zur Bedrohung oder Ausführung einer Tat gegen eine Person eingesetzt wurde, das bloße Mitführen eines Messers ohne Anwendung wird nicht erfasst (Bundeskriminalamt, 2024).

Ein differenzierter Blick auf die Tatverdächtigen zeigt: In etwa 90 % der Fälle handelt es sich um männliche Personen, zumeist Erwachsene über 21 Jahre. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit ergibt sich ein uneinheitliches Bild, auch weil nicht alle Bundesländer die Nationalität der Tatverdächtigen systematisch erfassen (Mediendienst Integration, 2023). In den Ländern, die dies tun, darunter Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen, liegt der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Messerangriffen zwischen 35 % und 55 %. So meldete Baden-Württemberg für 2023 einen Ausländeranteil von etwa 55 %, Nordrhein-Westfalen 47,4 %, und Mecklenburg-Vorpommern 35 % (ebd.).

Diese Überrepräsentation von Nichtdeutschen in der PKS ist statistisch belegbar, lässt sich aber nicht durch die Staatsangehörigkeit selbst erklären. Vielmehr spielen soziale Risikofaktoren eine zentrale Rolle, darunter:

  • ökonomische Benachteiligung (z. B. hohe Armutsgefährdung bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund: 37,4 % vs. 13,8 % bei deutschen Jugendlichen),

  • niedriges Bildungsniveau,

  • Erfahrungen mit Gewalt,

  • soziale Desintegration und

  • gewaltverherrlichende Männlichkeitsnormen.

Diese Faktoren treten unter Migranten häufiger auf als in der Gesamtbevölkerung (Dreißigacker et al., 2022; Walburg, 2023). Der Kriminologe Christian Walburg weist zudem darauf hin, dass bei Geflüchteten zusätzliche Belastungsfaktoren wie fehlende Perspektiven oder psychische Traumatisierungen hinzukommen, was das Risiko für Gewaltkriminalität erhöht (Walburg, 2023).

Es ist daher wissenschaftlich nicht haltbar, aus dem höheren Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger auf eine besondere Gewaltneigung aufgrund der Herkunft zu schließen. Vielmehr ist die statistische Überrepräsentation ein Abbild struktureller Ungleichheiten und sozialer Risikolagen.

Jugendliche und Messerbesitz

Die Frage, ob Jugendliche heute häufiger Messer mit sich führen, wurde in Deutschland bislang nur punktuell und regional erforscht. Eine der wenigen repräsentativen Langzeitstudien stammt aus Niedersachsen und wurde zwischen 2013 und 2022 unter Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen: Ein leichter Anstieg im Besitz von Messern unter Jugendlichen ist erkennbar, jedoch bleibt der Anteil insgesamt auf moderatem Niveau (Dreißigacker et al., 2022).

Laut dem Kriminologen Prof. Dr. Stefan Kersting ist der Messerbesitz bei Jugendlichen oft nicht mit einer konkreten kriminellen Absicht verbunden. Vielmehr gehe es um Selbstschutz, Gruppenzugehörigkeit oder um eine Form symbolischer Männlichkeitsdarstellung: „Schaut her, ich bin stark, ich habe eine Waffe“ (Kersting, zitiert nach Mediendienst Integration, 2023). Häufig werde das Messer zwar mitgeführt, sein Einsatz erfolge jedoch spontan, etwa bei eskalierenden Konflikten im Alltag.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielschichtig. Kriminologin Dr. Gina Wollinger sieht in subjektiver Unsicherheit, Männlichkeitsnormen und medial vermittelten Bedrohungsszenarien zentrale Einflussfaktoren. Zusätzlich verweist Kersting auf einen sozialen „Wettlauf“: Je mehr Jugendliche im Umfeld ein Messer dabeihaben, desto eher bewaffnet man sich auch selbst, ein Effekt, der auch in anderen europäischen Ländern wie Großbritannien beobachtet wurde (ebd.).

Hinsichtlich des Migrationshintergrunds zeigen die Daten der Dunkelfeldstudie: Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden sich beim Besitz kaum. Zwar setzen Jugendliche mit Migrationshintergrund im Konfliktfall tendenziell etwas häufiger das Messer ein, der Unterschied ist jedoch statistisch nicht signifikant(Dreißigacker et al., 2022).

Wie die Medien berichten

Die Wahrnehmung von Messerkriminalität in Deutschland wird nicht nur durch Statistiken, sondern maßgeblich durch die mediale Berichterstattung geprägt und oft auch verzerrt. Zahlreiche Studien und Analysen zeigen: Medien berichten überproportional häufig über Straftaten, bei denen Nicht-Deutsche tatverdächtig sind, und lassen gleichzeitig vergleichbare Fälle mit deutschen Tatverdächtigen unter den Tisch fallen (Mediendienst Integration, 2023; Laschyk, 2025).

Das hat Folgen: Obwohl Deutschland in den Jahren 2017 bis 2022 nachweislich die niedrigsten Kriminalitätsraten seit der Wiedervereinigung verzeichnete und 2023 nicht unsicherer war als 2010, dominiert in der Öffentlichkeit das Bild einer wachsenden Bedrohung durch Messergewalt, vor allem durch Migranten (Laschyk, 2025). Dieser Eindruck wird durch selektive Berichterstattung verstärkt. So ergaben Studien, dass Medien vor allem über seltene, extreme und tödliche Delikte berichten, während die große Mehrheit der weniger spektakulären, aber statistisch relevanteren Fälle kaum Beachtung findet.

Ein besonders aufschlussreiches Beispiel: Die häufigsten Vornamen deutscher Tatverdächtiger bei Messerangriffen in Berlin 2021 und 2022 lauteten „Christian“, „Alexander“ und „Nico“. Dennoch ist in den Schlagzeilen meist dann von einem Vorfall die Rede, wenn der mutmaßliche Täter einen ausländisch klingenden Namen trägt (Laschyk, 2025). Fälle, bei denen deutsche Staatsbürger Täter sind, auch mit tödlichem Ausgang, erreichen selten die breite Öffentlichkeit, sofern sich der Vorfall nicht für eine politische Instrumentalisierung eignet.

Diese selektive Darstellung führt zu einem paradoxen Effekt: Je seltener ein Delikt tatsächlich auftritt, desto häufiger wird darüber berichtet, insbesondere, wenn ein ausländischer Tatverdächtiger involviert ist. Der Kriminologe Christian Walburg warnt in diesem Zusammenhang davor, mediale und politische Narrative mit kriminalstatistischen Fakten zu verwechseln: Die Herkunft eines Täters sei in der Regel nicht ursächlich für die Tat, entscheidend seien vielmehr Alter, Geschlecht und soziale Lage, Faktoren, die auch bei deutschen Tätern mit erhöhter Kriminalitätswahrscheinlichkeit vorliegen (Walburg, 2023).

Wissenschaftlich belegt ist zudem, dass Schutzsuchende insgesamt seltener straffällig werden als deutsche Männer unter 30. Dennoch berichten große Medienhäuser wie die BILD überproportional negativ über Migration, vor allem im Kontext von Kriminalität (Laschyk, 2025). Diese gezielte Fokussierung auf Ausnahmen fördert rassistische Narrative und schafft ein Zerrbild gesellschaftlicher Realität.

Messerkriminalität ist kein einheitliches Phänomen

Kriminologische Fachleute wie Prof. Dr. Stefan Kersting weisen darauf hin, dass der Begriff „Messerkriminalität“ kein klar umrissenes Deliktfeld beschreibt, sondern eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Tatkonstellationen umfasst. Darunter fallen sowohl gezielte Gewaltakte wie Raubüberfälle oder körperliche Angriffe im Kontext organisierter Kriminalität, als auch innerfamiliäre oder partnerschaftliche Gewaltdelikte, die sich oft in einem hoch emotionalen, eskalierenden Umfeld abspielen (Mediendienst Integration, 2023).

Ein wesentlicher Teil der polizeilich erfassten Messerangriffe besteht laut Kersting jedoch aus spontanen Eskalationen alltäglicher Konflikte, bei denen ein mitgeführtes Messer in einer impulsiven Reaktion eingesetzt wird, ohne dass die Tat im Vorfeld geplant war. Diese Formen der Gewalttätigkeit treten häufig im sozialen Nahbereich oder bei zufälligen Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum auf.

Auch psychische Ausnahmesituationen spielen eine bedeutende Rolle: Personen mit akuten psychischen Erkrankungen oder in schweren Krisen können ebenfalls zu Tätern werden, oft ohne erkennbares Motiv, aber mit hoher Gefährlichkeit für das Umfeld. Diese Fälle unterstreichen die Notwendigkeit, nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch sozial- und gesundheitspolitisch differenziert auf das Phänomen zu reagieren.

Messerkriminalität ist somit kein homogenes Delikt, sondern ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Ursachen, Kontexte und Risikofaktoren, die jeweils spezifische präventive und strafrechtliche Ansätze erfordern.

Fazit: Differenzieren statt dramatisieren

Die Diskussion um Messerkriminalität ist emotional aufgeladen, nicht zuletzt, weil Medienberichte oft spektakuläre Einzelfälle in den Vordergrund rücken und dabei ein verzerrtes Bild der Realität erzeugen. Tatsächlich zeigen die Zahlen: Messerangriffe nehmen im Verhältnis zur Gesamtgewaltkriminalität nicht dramatisch zu, und ihre Ursachen sind komplex. Sie reichen von sozialer Benachteiligung über psychische Erkrankungen bis hin zu eskalierenden Alltagskonflikten, unabhängig von Herkunft oder Nationalität.

Gerade deshalb ist es umso wichtiger, sich nicht vorschnell von Schlagzeilen leiten zu lassen. Wer verstehen will, wie sicher unsere Gesellschaft wirklich ist, muss bereit sein, differenziert hinzuschauen, Zahlen im Kontext zu lesen und Narrative kritisch zu hinterfragen. Pauschale Zuschreibungen auf ganze Bevölkerungsgruppen, wie sie etwa von populistischen Akteuren oder boulevardesken Medien transportiert werden, tragen nicht zur Aufklärung bei, sondern fördern Angst, Misstrauen und gesellschaftliche Spaltung.

In einer offenen Gesellschaft braucht es mehr als reflexhafte Empörung: Es braucht Fakten, Dialog und einen verantwortungsvollen Umgang mit Information. Nur so gelingt es, Sicherheit ernst zu nehmen, ohne dabei Gerechtigkeit, Solidarität und Vernunft aus dem Blick zu verlieren.

Quellen

BILD. (2025, Mai). Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof: 15 Verletzte, Täterin in Psychose. Zugriff am 14. Juni 2025 unter https://www.bild.de/regional/hamburg/messerangriff-in-hamburg-2025-684d7a69c500125714a3c12a.html

Bundesministerium des Innern und für Heimat. (2023). Polizeiliche Kriminalstatistik 2022. Berlin: BMI.

Bundesministerium des Innern und für Heimat. (2024). Polizeiliche Kriminalstatistik 2023. Berlin: BMI.

Bundeskriminalamt. (2024). Definition „Messerangriff“. Zugriff am 14. Juni 2025, https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Gewaltkriminalitaet/Messerkriminalitaet/messerkriminalitaet_node.html

Kersting, S., zitiert in: Mediendienst Integration (2023).

Laschyk, T. (2025). So manipuliert man dich über Messerangriffe. Volksverpetzer, 16. Februar 2025. Zugriff am 14. Juni 2025, https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/messerangriffe-medien-manipulation

Mediendienst Integration. (2023). Messerkriminalität: Welche Rolle spielt die Nationalität?. Zugriff am 14. Juni 2025, https://mediendienst-integration.de

Dreißigacker, L. et al. (2022). Dunkelfeldstudie Niedersachsen: Jugendliche, Gewalt und Waffenbesitz. Universität Bielefeld.

Walburg, C. (2023). Migration und Kriminalität. Universität Münster.

Wollinger, G., zitiert in: Mediendienst Integration (2023).